Der Jugendstil

Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in verschiedenen Bereichen der Kunst Kritik laut. Zum einen an den billigen Massenprodukten, welche die fortschreitende Industrialisierung mit sich brachte, zum anderen an der herrschenden Stilrichtung "Historismus", die Stilelemente verschiedenster Epochen oft im Übermaß kombinierte.

In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts erschien in München eine Zeitschrift, die "Jugend" hieß und erstmals Kunstwerke in einem eigenen, neuen Stil zeigte. Nach ihr wurde der neue Stil als "Jugendstil" bezeichnet. Wichtig für jeden, der nach Jugendstil-Schätzen außerhalb Deutschlands sucht: in Frankreich heißt er "art noveau", in Österreich "Sezessionsstil", in Großbritannien "modern style" und in Italien "stile liberty".

Der Jugendstil wurde in allen Bereichen der Kunst, wie z.B. Malerei, Architektur und in großem Umfang auch im Kunsthandwerk umgesetzt. Es entwickelten sich zwei Richtungen: der florale und der geometrische bzw. abstrakte Jugendstil.

Im floralen Jugendstil werden Ornamente verwendet, die aus der Natur abgeguckt wurden: Gräser, Blätter (vor allem Ranken), Wellen und fließende Haare. Alle Formen sollen organisch sein und an die Perfektion der Natur erinnern. Nicht verzierte Teile der Kunstwerke bestechen durch ihre sanft geschwungenen Kanten.

Auch in der abstrakten Richtung des Jugendstils werden die Formen der Natur aufgegriffen und in symmetrische Ornamente mit klarer Linienführung eingefügt.

Absolutes Muss aller Produkte des Jugendstils war ihre sorgfältige Verarbeitung, die Verwendung wertvoller Materialien und das hauptsächliche Fertigen mit der Hand - eine bewusste Gegenbewegung zu den industriell gefertigten Massenprodukten. Entsprechend teuer waren die Kunstwerke, so dass nur wenige Menschen in ihren Genuss kamen. Der Jugendstil brachte eine hohe Wertschätzung des Kunsthandwerks mit sich. Viele Menschen verbrachten ihre Freizeit mit der Fertigung von Gegenständen in diesem Stil.

Eine breite Palette von entsprechenden Vorlagen, unter anderem auch Laubsägevorlagen, wurde angeboten. So konnten auch ärmere Menschen in den Besitz von Gebrauchsgegenständen, aber auch von Spielzeug im Jugendstil gelangen.

Die Architekten beschränkten sich oft auf eine rein äußerliche Verzierung eines kostengünstig erbauten Hauses mit Jugendstilornamenten. Einer der wenigen Architekten, die den Jugendstil im gesamten Bauwerk umsetzten, war Antonio Gaudi. Ein weiterer bekannter Name in Verbindung mit dem Jugendstil ist Henri de Toulouse-Lautrec, der viele bekannte Plakate gestaltete und dessen Werk die Gebrauchsgrafiken bis heute beeinflusst. Ein bekannter Maler des Jugendstils war Gustav Klimt.



Puppenmöbel im Jugendstil

Der Jugendstil veranlasste die Hersteller von Puppenmöbeln nur zu einer Modernisierung ihres Angebotes durch Anpassung des Möbelstils. Die einzelnen Möbelsorten bleiben erhalten. Nur ein Möbelstück kommt zu der Standardmöblierung der Gründerzeit hinzu: der Herrenschreibtisch.

Frühe Puppenmöbel im Jugendstil können oft daran erkannt werden, dass sie ähnlich schwer wirken wie ihre Gründerzeitvorgänger, aber bereits eine Jugendstilornamentik, häufig schabloniert oder durch verzierte Messingbeschläge, aufweisen. Manchmal werden auch einzelne Stilelemente der Gründerzeit wie z.B. die Fransen am Sofa noch an den Jugendstilmöbeln verwendet. Da die Möbel der beiden Stilrichtungen teilweise auch zeitgleich angeboten wurden, können Puppenstuben von der Jahrhundertwende auch im Originalzustand Stilvermischungen in der Möblierung enthalten.

Nach der Jahrhundertwende wurde in der Serienfertigung der Puppenhausmöbel eine weitere Form der Ornamentik eingeführt: die Pressung. Das Pressen von Holz-/oder Pappteilen wurde auch dann eingesetzt, wenn z.B. filigrane Möbel aus anderen Materialien (z.B. Korb) imitiert werden sollten. Puppenstuben im Jugendstil Die Puppenstube im Jugendstil ist meistens trapezförmig, damit die Möbel besser sichtbar aufgestellt und der Raum einfacher bespielt werden kann. Das Verhältnis der Breite zur Höhe gibt einen gewissen Anhaltspunkt zur Bestimmung der Herstellungszeit. Grundsätzlich gilt: je höher eine Puppenstube im Verhältnis zu ihrer Breite ist, desto älter ist sie. Auch die Wandgestaltung hilft bei der Einschätzung, sofern sie original ist.

Es gab eine riesige Anzahl von wunderschönen Jugendstiltapeten, die speziell für Puppenstuben gefertigt wurden. Bei Küchengehäuse weist die Wandgestaltung oft eine waagerechte Zweiteilung auf, wobei der untere, meistens gemusterte Teil zunächst ungefähr die Hälfte ausmacht. Im Verlauf der Zeit wird der untere Teil immer größer. Die Wandverkleidung schließt dabei meistens mit einer Bordüre gegen den oberen, einfarbigen Teil ab.

Jugendstiltypische Muster sind neben den besagten rankenartigen Pflanzenmustern auch Fliesenmuster. Bekannt sind hier die Delfter Fliesenmuster oder Blumenmuster, aber auch achteckige, weiße Fliesen, die um kleinere quadratische blaue oder schwarze Fliesen angeordnet sind.

Der Boden in der Küche zeigt häufig ein diagonales Schachbrettmuster aus helleren und dunkleren gemalten oder gedruckten Fliesen. Für Wohnräume werden unterschiedlichste Bodentapeten mit Imitationen von Parkett- und Linoleumböden angeboten.

Ich zeige hier einige Uhren sowie ein Barometer mit Jugendstilmerkmalen, die für die beschriebene Stilrichtung sehr typisch sind. Zunächst einmal eine Kamin- oder Tischuhr, die für mich der Inbegriff des Jugendstils ist. Man beachte nur die harmonische Gestaltung des Gehäuses mit den sanften Linien und Rundungen. Bereits am Gehäuse erkennt man, dass die Uhr von einem Vertreter des floralen Jugendstils stammt: man beachte die blumenartige Form oberhalb des Ziffernblattes. Auf dem Ziffernblatt selbst finden wir eine Rankenverzierung mit Blüten.

Ein sehr früher Vertreter des Jugendstils ist dieser Freischwinger, der Ornamente der Gründerzeit und des Jugendstils miteinander verbindet. Ich finde, dass man an dieser Uhr besonders gut das Bestreben der Jugendstilkünstler erkennen kann, Gebrauchsgegenstände zu Gesamtkunstwerken zu gestalten. Ein Tipp für all jene unter Euch, die einen Regulator dieser Epoche kaufen möchten: ein Jugendstil-Uhrmacher würde niemals ein Pendel für eine Uhr nehmen, das nicht die Ornamentik der Ziffernblattmitte aufgreift und spielerisch variiert! Außerdem harmonieren Pendelform und Unterbau des Freischwingers in ihren Konturen...

Ein wenig abstrakter, aber immer noch floral verziert präsentiert sich dieser spätere Regulator. Das Gehäuse zeigt schon die schlichte und funktionale Form, im Ziffernblatt finden wir eine abstrakte Verzierung aus Linien und Punkten, die aber durch ein paar Blumen aufgelockert und spielerisch wirken. In diesem Zusammenhang lohnt auch der Blick auf die Ziffern, die hier ganz nüchtern und gerade sind - im Gegensatz zu den Ziffern der vorangegangenen Uhren. Hier folgt nun noch ein Barometer mit besonders harmonischen floralen Verzierungen.